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2020_03_23 Interview im Deutschlandfunk mit Heiner Flassbeck: Politik in der #Coronakrise

Heiner Flassbeck: Wenn man denen, die von der Coronakrise betroffen sind, ihr bisheriges Einkommen für die kommenden drei Monate garantiert, muss man über Mieten usw. nicht mehr sprechen.
Das Geld dafür muss letztlich von der Europäischen Zentralbank kommen. Für eine begrenzte Zeit kann man das machen.

Text: https://www.deutschlandfunk.de/schwarze-null-und-coronakrise-deutschland-hat.694.de.html?dram:article_id=473176

Die Bundesregierung hat ein Maßnahmenpaket zur Stützung der Wirtschaft in der Coronakrise beschlossen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will dazu neue Schulden in Höhe von 156 Milliarden Euro aufnehmen.

Philipp May: Ist das alles angemessen?

Heiner Flassbeck: Na ja, das ist in der Dimension sicher angemessen. Die Bundesregierung hat jetzt begriffen, wie schwer der Einbruch sein wird. Er wird unglaublich groß, gewaltig sein, und entsprechend muss man gewaltig da gegenhalten. Um das klar zu sagen: Rezession ist der falsche Ausdruck. Wir haben hier einen Einbruch in der Wirtschaftstätigkeit, wie es ihn noch nie gegeben hat und wie es ihn in diesem Tempo auch noch nie gegeben hat, und deswegen ist es wichtig, dass all die Maßnahmen, von denen die Bundesregierung redet, jetzt sofort auf den Weg gebracht werden.

Mir ist das noch alles ein bisschen zu kompliziert. Es gibt viele Einzelregeln. Man sollte meines Erachtens eine furchtbar einfache Regel aufstellen, die da heißt: Jeder Mensch in Deutschland, der jetzt Corona-bedingt Einnahmeausfälle hat, bekommt vom Staat das, was er in den letzten drei Monaten oder sechs Monaten verdient hat. Das kann man leicht nachweisen. Das kann auch ein Unternehmer nachweisen in der Regel. Das sollte ihm für drei Monate garantiert werden. Dann muss man nicht über Mieten und all das reden. Dann kann man ganz einfache Beschlüsse fassen und die müssen ruckzuck in den nächsten Tagen durchgezogen werden.

May: Das klingt aber nach noch mehr Geld. Reicht das denn? Können wir uns das leisten?

Flassbeck: Das ist vielleicht noch ein bisschen mehr Geld, aber das wäre jedenfalls Sicherheit und das wäre auch keine Ungleichbehandlung. Denn es ist ja durch nichts zu rechtfertigen, dass einige Menschen wie Pensionäre oder Beamte einfach ihr Geld weiter bekommen und der Arbeiter, der zufällig in einem Betrieb arbeitet, den man schließt, der bekommt nichts oder bekommt nur Kurzarbeit, 60 Prozent. Das ist nicht sehr viel. Und dann muss man wieder nachbessern.

Wir müssen uns ja darauf konzentrieren, das zunächst mal für drei Monate alles zu überbrücken, oder vier. Das ist egal! Und dann kann man weitersehen. Aber das wäre eine einfache, einfach zu handhabende Regel. Für die Unternehmen kann das dann Bürgschaften bedeuten, da muss das nicht Zuschüsse bedeuten, aber für die Arbeitnehmer sollten es einfach Zuschüsse sein. Dann wüsste man, wo man dran ist. Jeder weiß, okay, ansonsten bricht hier nichts zusammen, sondern ich kann so weiterleben, wie ich es bisher getan habe – mit all den Einschränkungen.

May: Und wer soll das zahlen?

Flassbeck: Der Bund. Ich sage, das ist nicht viel mehr als das, was man ohnehin tut. Machen wir uns nichts vor! Dieses Geld, was da jetzt aufgebracht wird, kommt von den Kapitalmärkten, aber indirekt kommt das alles von der Europäischen Zentralbank, denn die wird ja die Zinsen niedrig halten für die Staatsanleihen. Und wir müssen auch immer bedenken: Das muss ja für ganz Europa gemacht werden. Wenn Herr Scholz sagt, wir stehen gut da, dann finde ich das sehr, sehr bedenklich. Das ist ein dummer Satz, den sollte er mal lassen. Man muss sich fragen, wie stehen wir alle da, wie steht die gesamte Währungsunion da.

May: Aber es stimmt doch!

Flassbeck: Es stimmt, aber auf Kosten der anderen. Wir haben ja riesige Leistungsbilanzüberschüsse gehabt die letzten Jahre und das haben die anderen ja uns vorfinanziert, und da sollte man jetzt nicht stolz sein auf irgendetwas, sondern sollte dafür sorgen, dass die Währungsunion insgesamt funktioniert. Solch eine Regel sollte für die gesamte Währungsunion gelten. Das ist das, was Währungsunion impliziert in Europa, und nicht, wir machen jetzt und was in Italien passiert, interessiert uns nicht.

(…)

Audio: https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2020/03/23/heiner_flassbeck_wirtschaftswissenschaftler_zu_massnahmen_dlf_20200323_1218_59406f01.mp3
Nachricht: https://www.deutschlandfunk.de/covid-19-experten-erwarten-massiven-wirtschaftseinbruch.1939.de.html?drn:news_id=1113391
Bild: https://www.flassbeck-economics.com/who-we-are/

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Heiner Flassbeck
Heiner Flassbeck (born 12 December 1950) is a German economist and public intellectual. From 1998 to 1999 he was a State Secretary in the German Federal Ministry of Finance (German: Bundesministerium der Finanzen) where he also advised former finance minister Oskar Lafontaine on a reform of the European Monetary System. He became the Chief of Macroeconomics and Development of the United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) in Geneva in January 2003, a position that he held until resigning at the end of 2012 due to his age.
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